Bin ich's oder bin ich's nicht? Diese Frage stellen sich aktuell viele Selbstständige in Deutschland. Hintergrund: Der neue Gesetzesentwurf zum Thema Scheinselbstständigkeit von Ministerin Andrea Nahles.
Der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) hat eine Petition gegen diesen Gesetzesentwurf gestartet. Wir wollten es genau wissen und haben Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des VGSD, dazu befragt.
1. Hallo Herr Lutz, bitte stellen Sie sich und den Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V. (VGSD) kurz vor.
Der VGSD vertritt die Interessen von Soloselbstständigen und kleinen Unternehmen mit bis zu neun Mitarbeitern, von Gründern sowie Teilzeit-Selbstständigen. Dieser Gruppe, die die große Mehrheit der Selbstständigen in Deutschland ausmacht, wollen wir endlich eine Stimme geben.
Wir haben den Verband 2012 gegründet und zählen aktuell 1.500 Vereins- und 8.000 Communitymitglieder. Entstanden ist der Verband aus der Petition von Tim Wessels gegen eine Rentenversicherungspflicht für Selbstständige und dem Widerstand gegen die Kürzungen beim Gründungszuschuss.
2. Aktuell führen Sie eine Petition zum Thema Scheinselbstständigkeit durch. Wie kam es dazu?
Unsere Mitglieder haben in den Regionalgruppen und in E-Mails an uns von zunehmenden Problemen bei der Auftragsakquise berichtet:
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) hat beginnend in 2008 ihre Definiton von Scheinselbstständigkeit immer weiter ausgedehnt – ohne dass sich am Gesetz etwas geändert hätte – und dadurch die Auftraggeber stark verunsichert.
Das wurde ab 2014 immer deutlicher. Vor zehn Jahren urteilte die DRV in 19% der ihr freiwillig zur Klärung vorgelegten Fälle auf Scheinselbstständigkeit, 2014 waren 47% der Fälle.
Die Rechtsunsicherheit ist inzwischen so groß, dass 54% der Selbstständigen von Aufträgen berichten, die sie aufgrund der Rechtsunsicherheit nicht, nur über zwischengeschaltete Vermittler oder mit hohem bürokratischem Aufwand erhalten haben. Viele werden auch in Zeitverträge oder Zeitarbeit gedrängt.
Das wurde immer schlimmer und führte vor einem Jahr zur Gründung der VGSD-Arbeitsruppe „Scheinselbstständigkeit“. In der Arbeitsgruppe haben wir ein Positionspapier erarbeitet, die Petition gestartet und viele andere Aktionen auf den Weg gebracht.
3. Aus Ihrer Sicht: Wie groß ist das Problem Scheinselbstständigkeit in Deutschland?
Sie meinen jetzt den Missbrauch? Einen solchen gibt es mit Sicherheit und wir sind dafür, dass er zielgenau bekämpft wird.
Das darf aber nicht dazu führen, dass Selbstständige, die fair bezahlt werden und gut für ihr Alter vorsorgen, plötzlich gegen ihren Willen zu Scheinselbstständigen gestempelt werden und keine Aufträge mehr erhalten oder sich als Zeitarbeiter verdingen müssen.
Bei einer von uns mit deskmag durchgeführten Befragung mit über 3.500 Teilnehmern gaben nur 2% an, scheinselbständig tätig und zugleich eigentlich lieber angestellt zu sein. Der Kollateralschaden, der bei den anderen 98% angerichtet wird, ist massiv.
Befragt nach den Statusfeststellungsverahren der Rentenversicherung zeigte sich, dass auf einen nach eigener Einschätzung Scheinselbstständigen mehr als vier kamen, die echt selbstständig sind und falsch klassifiziert wurden.
Wäre das Statusfeststellungsverfahren ein Medikament, würde es sicher nicht zugelassen werden. Denn es macht mehr Gesunde krank als Kranke gesund.
4. Was waren Ihre Haupt-Kritikpunkte an dem Gesetzestext „gegen den Missbrauch von Werkverträgen“?
Der ursprüngliche Gesetzesentwurf enthielt einen Kriterienkatalog, der weit über die aktuelle Rechtssprechung hinaus gegangen wäre und damit – wie ja auch Kanzlerin Merkel deutlich gemacht hat – den Koalitionsvertrag verletzt hätte. 96% der Selbstständigen hätte mindestens ein Kriterium für Scheinselbstständigkeit erfüllt, 44% fünf oder mehr.
Zudem gab es eine Vermutungsregelung, die dazu geführt hätte, dass jeder Auftragnehmer, den die DRV künftig in einem Statusfeststellungsverfahren als „abhängig beschäftigt“ beurteilt hätte – sofort zu einem Arbeitnehmer geworden wäre, noch vor einer gerichtlichen Prüfung – ein bürokratischer Alptraum!
Diese beiden Punkte konnten verhindert werden, aber das Gesetz enthält weitere Verschlechterungen und trägt in keiner Weise dazu bei, die bereits bestehende unerträgliche Rechtsunsicherheit zu reduzieren.
5. Welche Konsequenzen drohen den Selbstständigen selbst nach dem neuen, entschärften Gesetzestext?
Wenn die DRV ihre Praxis nicht ändert – und dafür gibt es bisher kein Anzeichen – droht uns Selbstständigen weiterhin der Verlust von Aufträgen, die Umwandlung gut bezahlter selbstständiger Tätigkeit in Zeitarbeit und Zeitverträge und so fort.
Unsere Arbeit bleibt liegen oder wird ins Ausland verlagert. Was angeblich unserem Schutz dienen soll, fügt uns massiven Schaden zu.
6. Welche Auswirkungen könnte das Gesetz auf die Unternehmerlandschaft in Deutschland haben?
Schon jetzt haben Unternehmen massive Probleme, für die Innovationsfähigkeit wichtige Projekte mit externen Experten zu besetzen. Wer wirklich gut ist, geht eher ins Ausland als sich in Zeitverträge drängen zu lassen. Und das in einer Zeit, in der wir uns anstrengen müssen, um von anderen Ländern bei der Digitalisierung nicht abgehängt zu werden.
7. Sie fordern u.a. nachvollziehbare Kriterien, um Scheinselbstständigkeit zu verhindern. Wie könnten diese Kriterien Ihrer Meinung nach sinnvollerweise lauten?
Auch Nicht-Juristen müssen Aufträge vergeben und bereits bei Vertragsabschluss unterscheiden können, ob es sich um einen Auftrag- oder um einen Arbeitnehmer handelt. Wer gut und fair bezahlt wird und für sein Alter vorsorgt ist nicht schutzbedürftig.
Mindestens aber muss die Rechtsstaatlichkeit gestärkt werden durch transparente, schnelle und nachvollziehbare Verfahren bei der DRV sowie wirkungsvolle Rechtsbehelfsmechanismen. Auch die Sanktionen gehören auf den Prüfstand, denn sie stehen in keinem Verhältnis zur Vorhesehbarkeit der DRV-Entscheidungen.
Ein erster Schritt wäre die Aufname eines klaren Bekenntnisses zur Förderung und rechtssicheren Betätigung von Selbstständigen in das Gesetz.
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Wissenswertes für freie Mitarbeiter: Scheinselbstständigkeit