Dr. Andrea Schirmacher (rechts) ist eine von vier Mitarbeiterinnen der Berliner Gründerinnenzentrale. Wir treffen sie zum Interview in ihrem Büro in Mitte - gleich um die Ecke von Debitoor.
Was ist die Gründerinnenzentrale und seit wann gibt es sie?
Die Gründerinnenzentrale ist ein Tochterprojekt der WeiberWirtschaft eG (Genossenschaft und Unternehmerinnenzentrum, Anm. LB).
Frauen gründen anders und benötigen deshalb eine spezifische Unterstützung, die die herkömmlichen Wirtschaftsfördereinrichtungen nicht bieten können oder wollen. Deshalb wollten wir diese Unterstützungsstruktur aus eigener Kraft aufbauen. Wichtig waren den Gründungsfrauen der WeiberWirtschaft: Eigentum in Frauenhand und gleichzeitig gemeinschaftliches Eigentum an Grund und Boden aber auch Selbstverwaltung, Mitbestimmung und Kooperation: Für diese Ideale schien die Form der Genossenschaft am besten geeignet.
Tatsächlich gelang es der frisch gegründeten Genossenschaft 1992 nach zähen Verhandlungen, den Gewerbehof der früheren VEB Berlin Kosmetik in Berlin-Mitte von der Treuhandanstalt zu kaufen. Die Genossenschaft musste sich verpflichten, den Gewerbehof zu sanieren und auf dem damals unbebauten Grundstück nebenan einen Wohnungsneubau zu errichten.
Seit 1994 vermietet die WeiberWirtschaft Werkstätten, Büros, Ateliers und Wohnungen an frauengeführte Unternehmen und wurde in der Stadt immer wahrgenommen als Kristallisationspunkt weiblicher Gründungen, deswegen haben dort immer alle Frauen angerufen und Beratung erwartet. Das hatWeiberWirtschaft aber gar nicht angeboten zu dem Zeitpunkt.
2005 gab es von der Senatsverwaltung das Signal, dass Gelder für eine Erstanlaufstelle zur Verfügung stehen. So haben wir das Tochterprojekt Gründerinnenzentrale aufgebaut. Hier können Frauen nun anrufen, eine Mail schreiben oder vorbeikommen und alle Fragen rund um ihre Existenzgründung stellen. Wir versuchen diese zu beantworten und sie ein Stück auf ihrem Weg zu begleiten.
Als Erstanlaufstelle ermutigt die Gründerinnenzentrale Frauen auf dem Weg in die Selbständigkeit dazu, ihre Zukunftsvisionen ernst zu nehmen und alle Fragen im Zusammenhang mit einer Existenzgründung genau zu prüfen und weiterzudenken.
Über das Gründerinnentelefon, die Website und direkt vor Ort bekommen Interessierte erste Informationen. Auf Wunsch wird eine individuelle Orientierungsberatung angeboten. Dabei wird das persönliche Anliegen ausführlicher besprochen, der individuelle Beratungsbedarf festgestellt und über weitergehende Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten informiert.
Anschließend werden die Gründerinnen gezielt an frauenfreundliche Organisationen und EinzelberaterInnen Berlins weitervermittelt, die Gründungsberatung und -begleitung in guter Qualität anbieten und die spezielle Lebenssituation von Frauen berücksichtigen.
Die Gründerinnenzentrale ist gleichzeitig Veranstaltungsstandort für Seminare, Workshops, Vorträge und verschiedene Vernetzungsformate wie Netzwerkabende, Stammtische und Erfolgsteams für Gründerinnen und Unternehmerinnen. Sie sensibilisiert für frauenspezifische Belange und betreibt Image- und Öffentlichkeitsarbeit für Gründerinnen.
Und Sie waren direkt von Anfang an dabei? Können Sie etwas über Ihren eigenen beruflichen Werdegang erzählen?
Ich habe Sozialwissenschaften studiert und nach dem Studium zunächst an der Uni gearbeitet und dort einige Projekte betreut zum Thema Existenzgründung. Da ging es allerdings mehr um Finanzierung, um regionales Risikokapital. Aus diesen Projekten ist meine Dissertation zum Thema "Unternehmerinnenzentren – Ein Weg zur effektiven Förderung von Unternehmensgründungen von Frauen?" entstanden.
Mit dieser Dissertation bin ich dann nach Berlin und 2004 in den Vorstand der WeiberWirtschaft und darüber zur Gründerinnenzentrale gekommen.
Eine ganz grundsätzliche Frage: Nach wie vor sind die meisten Gründer Männer. Woran liegt das?
Es gibt weniger Frauen die gründen. Das liegt zum einen schon an der Berufswahl. Die meisten Mädchen fokussieren sich auf einige wenige Ausbildungsberufe, die dann oft auch nicht so sehr geeignet sind, sich selbstständig zu machen. Bei den Jungs ist das viel breiter gefächert.
Außerdem erfolgen Gründungen im größeren Stil meist eher, wenn man in einem Unternehmen schonmal eine etwas höhere Position bekleidet hat. Da Frauen in Unternehmen es immer noch schwerer haben aufzusteigen, ist das natürlich auch ein Faktor.
Desweiteren gilt nach wie vor: Frauen steigen aus für die Familienphase, haben die Berufsunterbrechung, weniger kontinuierliche Erwerbsverläufe. Da wird es dann auch nochmal schwierig.
Kann man das allgemein so sagen, oder gibt es zum Beispiel branchenspezifische Unterschiede? Wenn man sich etwa die Berliner Startup-Szene anschaut, wo auch zum Teil sehr junge Leute gründen? Zeichnen sich da ähnliche Muster ab?
Auf jeden Fall. Man kann froh sein, wenn in diesen Gründerteams mal eine Frau ist. Es sind sogar eher noch weniger Frauen in diesem technologieaffinen Bereich.
Was sind denn spezifische Fragen oder Herausforderungen, die Frauen bei der Gründung haben?
Oft sind es Gründungen, die nicht so sehr einem stringenten Berufsweg folgen. Es ist nicht so, dass man eine Ausbildung macht, dann eine Weile arbeitet und sich dann genau in diesem Bereich selbstständig macht.
Viele Frauen sehen in der Selbstständigkeit einen größeren persönlichen Entwicklungsspielraum als in einem abhängigen Arbeitsverhältnis. Auch bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Die Gründungen erfolgen oft in Lebenumbrüchen. Nach der Familienzeit. Aus der Arbeitslosigkeit. Oft is es dann auch etwas völlig anders, als der bisherige berufliche Werdegang, es gibt eine komplette Neuorientierung. Das ist bei vielen Gründungen von Männern nicht so, da steht der Selbstverwirklichungsaspekt nicht so sehr im Vordergrund.
Ein weiterer Punkt ist immer die Frage: Wie fange ich an? Frauen haben meist weniger materielle Ressourcen zur Verfügung. Die Gründung ist also meist kleiner als sie sein könnte, müsste oder sollte.
Hinzu kommt der Zeitfaktor. Es gibt oft Teilzeitgründungen hier, Nebenerwerbsgründungen, einfach, weil noch viele andere Dinge zu tun sind im Leben dieser Frauen.
Was sind denn die häufigsten Fragen, die Sie gestellt bekommen?
Wir bieten hauptsächlich die Strukturierung des weiteren Weges an. Am Anfang haben alle immer sehr viele Dinge im Kopf. Wir schauen mit den Gründerinnen zusammen, dass man immer einen Schritt nach dem anderen macht. Was muss gleich entschieden werden, was reicht auch später noch? Wo braucht man vielleicht noch ein Seminar oder eine Beratung, um Entscheidungen treffen zu können.
Wir sind eine Erstanlaufstelle, die hilft, das Knäuel im Kopf zu entwirren. Wir orientieren, informieren, vernetzen.
Wir bieten Informationsabende mit Vorträgen zu verschiedenen Themen, und Vernetzungsveranstaltungen, etwa unseren Stammtisch oder das Gründerinnenfrühstück.
Gibt es vergleichbare Angebote wie die Gründerinnenzentrale auch in anderen Städten?
Nein, die ist tatsächlich einzigartig in Deutschland (lacht). Berlin hat aber auch eine Sonderstellung, es hat den höchsten Anteil an Frauengründungen an der Gesamtzahl an Gründungen. Und natürlich auch insgesamt eine gute Gründungsquote. Berlin ist eine lebendige Stadt, in der viel passiert.
Der hohe Anteil an Frauengründungen liegt nicht zuletzt daran, dass Berlin diese schon lange gezielt fördert. Es gibt verschiedene Projekte, die Seminare und Kurse anbieten, an die wir dann weiter vermitteln. Die Gründerinnenzentrale macht ja auch nur Sinn, wenn es spezifische Beratungsmöglichkeiten gibt, an die man weiter verweisen kann, und nicht alle einfach zur IHK schickt (lacht).